M. Perrenoud: Banquiers et diplomates suisses

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Titel
Banquiers et diplomates suisses (1938–1946).


Autor(en)
Perrenoud, Marc
Erschienen
Lausanne 2011: Editions Antipodes
Anzahl Seiten
543 S.
Preis
URL
von
Patrick Halbeisen

Marc Perrenoud ist zweifellos einer der besten Kenner der Quellen des Bundes der 1930er und 1940er Jahre und der Finanzgeschichte in diesem Zeitraum. Als Mitarbeiter der «Diplomatischen Dokumente der Schweiz» (DDS) war er an der Auswahl und der Herausgabe der Quellen für die Bände, die den Zeitraum 1939 bis 1946 abdecken, mitbeteiligt. Später, als wissenschaftlicher Berater der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg (UEK), zeichnete er als Mitverfasser zweier Studien der UEK und als Leiter der Untersuchungen der Kommission über den Finanzplatz Schweiz und die Beziehungen der Schweiz zu Frankreich während des Zweiten Weltkriegs verantwortlich. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an die hier zu besprechende Dissertation Perrenouds, die unter der Leitung von Jean-Claude Favez und Antoine Fleury entstanden ist und mit der höchsten Auszeichnung der Universität Genf bedacht worden ist.

Es ist in der Tat beeindruckend, wie Perrenoud bei der Präsentation von Quellen aus dem Vollen schöpfen kann. So berücksichtigt er neben den Beständen des Bundesarchivs auch diejenigen der Schweizerischen Nationalbank (SNB), der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), des Archivs für Zeitgeschichte und der Universität Basel (Tagebuch von Per Jacobsson). Die Akteure und ihre Positionen werden durch die sprechenden Quellenzitate sehr plastisch. In einem ersten Kapitel zeigt Perrenoud die beträchtlichen finanziellen Verflechtungen der Schweiz mit dem Ausland anhand zeitgenössischer Quellen auf. Da die Banken den Behörden aus Angst vor den ausländischen und den eigenen Steuerbehörden möglichst wenige Informationen zukommen liessen – ein wiederkehrendes Thema in der Monografie –, sind nur grobe Schätzungen aufgrund zeitgenössischer Angaben möglich, die Perrenoud für eine Reihe von Ländern präsentiert. Für den Zeitraum 1938 bis 1946 bewegen sich die Schätzungen für die schweizerischen Direktinvestitionen zwischen 7,5 Mrd. und 21,6 Mrd. Franken. Die Aktiven der Banken im Ausland machten 1938 schätzungsweise rund 1,5 Mrd. und 1945 1,2 Mrd. Franken aus. Bedeutend umfangreicher war das ausländische Kapital, das in der Schweiz investiert war. Ab den 1930er Jahren waren die USA der wichtigste Markt für die Banken, dies im Unterschied zur Industrie, die noch stärker dem alten Kontinent verhaftet blieb.

Es ist klar, dass diese bedeutenden Vermögenswerte der Schweiz im Ausland in einer Zeit, die durch Devisenbewirtschaftung und wirtschaftliche Kriegsführung gekennzeichnet war, durch Blockierungen, Nationalisierungen und andere Massnahmen gefährdet waren. Gleichzeitig waren die Finanzkraft der Schweiz und insbesondere der im zwischenstaatlichen Verkehr in Gold konvertible Schweizer Franken sehr begehrt. Aus dieser Konstellation ergab sich im Hinblick auf die Wirtschaftsverhandlungen mit den Achsenmächten und den Alliierten zwangsläufig ein grosser Koordinationsbedarf zwischen den Bankiers und den Diplomaten der Schweiz, wobei die Interessenlagen nicht immer kongruent waren. So mussten die Diplomaten, beziehungsweise die Behörden auch die Bedürfnisse anderer Branchen, insbesondere die der Exportindustrie, die öffentliche Meinung und die sich im Kriegsverlauf ändernde geopolitische Situation berücksichtigen. Schliesslich waren die Beziehungen auch von einzelnen Akteuren geprägt, wie beispielsweise von Walter Stucki, dessen Persönlichkeit und Wirken Perrenoud besonders hervorhebt

Den in der Kriegszeit weitläufigen Berührungspunkten zwischen den finanziellen und staatlichen Interessen und ihrer Regelung gilt das Hauptinteresse der Dissertation. Im Unterschied zu den bisherigen Untersuchungen, die in der Regel bilateral ausgerichtet sind, versucht Perrenoud, eine umfassende Sicht zu präsentieren. Behandelt werden so unterschiedliche und vielfältige Themen wie das Verhältnis von Neutralität und Finanztransaktionen, die Kreditvergabe an kriegführende Länder, die Blockierung der französischen Vermögenswerte in der Schweiz, die Beziehungen zwischen der SNB, der deutschen Reichsbank und der BIZ, die Bedeutung der Finanzgeschäfte für das nationalsozialistische Deutschland (Clearing-Kredite, Goldtransaktionen, Tarngeschäfte, Arisierungen), die wirtschaftlichen Beziehungen mit Vichy-Frankreich und die Reaktion der Behörden und der Banken auf den Druck der Amerikaner und der Briten, die finanziellen Transaktionen mit dem Dritten Reich einzuschränken (schwarze Listen, Blockade der schweizerischen Vermögenswerte in den USA). Perrenoud betont dabei die Wichtigkeit der wirtschaftlichen Leistungen der Schweiz für Deutschland; deutlich wird auch, dass die Verhandlungen der Schweiz mit dem Ausland teilweise schlecht koordiniert waren. So waren die Banken nicht bereit, den Behörden volle Auskunft über ihre Geschäfte zu geben, und verfolgten ihre Interessen teilweise auf eigene Faust, während die SNB ihre Politik möglichst unabhängig betreiben wollte und die Goldgeschäfte nicht in die Verhandlungen mit Deutschland einfliessen liess. Auch die verschiedenen Stellen beim Bund hatten nicht immer die gleiche Agenda. Perrenoud prägt in diesem Zusammenhang den Begriff des système polycratique helvétique.

Auch wenn Perrenoud dies nicht explizit schreibt, so lässt sich doch der Schluss ziehen, dass die Behörden zwar auf die Interessen der Banken Rücksicht genommen haben und ihnen auch immer wieder weit entgegengekommen sind, aber die Politik letztlich unabhängig blieb und auch Entscheide traf, welche die Interessen der Finanzwirtschaft empfindlich berührten. Dies war bei der Ausgestaltung des Clearings mit Deutschland der Fall, die unter der Devise «Arbeit geht vor Kapital» stand, bei der Blockade der französischen Vermögenswerte in der Schweiz und bei den Verhandlungen mit den Alliierten am Ende des Kriegs und kurz danach (Currie-Abkommen, Washingtoner Abkommen). Hier wurden die Bankenvertreter, die sich in den Augen der Alliierten zu stark kompromittiert hatten, bei der Zusammensetzung der Schweizer Delegation nicht berücksichtigt. Trotz des alliierten Drucks gelang es den Banken während des Kriegs, – nicht zuletzt wegen des konvertiblen Frankens – neue Märkte zu erobern und ihre Position als Kapitaldrehscheibe zu festigen, eine Entwicklung, die von Perrenoud als double mouvement de mondialisation et d’helvétisation bezeichnet wird.

Die grosse Stärke der Untersuchung, die ausführliche Präsentation von aufschlussreichem Quellenmaterial, ist gleichzeitig eine ihrer Schwächen, weil Perrenoud zu stark auf sein Material vertraut und den Leser bei der Interpretation oft allein lässt. Man würde sich wünschen, dass Perrenoud etwas weniger bescheiden wäre und dem Leser seine Meinung und Interpretation wissen liesse. Dazu gehörte auch ein gewisses Mass an fundierter Spekulation, denn die Quellen schweigen sich zuweilen auch zu zentralen Fragen aus. Neben zusätzlicher Analyse und Kommentierung wäre hie und da auch eine stärkere Betonung des Kontexts nützlich gewesen. Beispielsweise werden die prekäre Situation der Banken nach der Krise in der ersten Hälfte der 1930er Jahre und die Währungs- und Geldpolitik der SNB zu wenig deutlich herausgearbeitet.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die mangelnde Einordnung in den Forschungsstand. Seit den Pionierarbeiten in den 1970er und 1980er Jahren (Bourgeois, Durrer, Rings, Tanner, etc.) sind die umfangreichen Arbeiten der UEK und zahlreiche weitere Monografien hinzugekommen, welche fast alle die von Perrenoud erörterten Sachverhalte auch behandeln. Es ist zu bedauern, dass Perrenoud es versäumt, dem Leser zu signalisieren, wo er in seinen Forschungen zu neuen Ergebnissen gekommen ist und inwiefern sie Anlass zu Neuinterpretationen geben. So erwähnt er beispielsweise die meines Wissens noch nicht bekannten engen Beziehungen zwischen Pilet-Golaz und dem amerikanischen Präsidenten der BIZ (McKittrick), ohne aber den Bezug zur Aussenpolitik herzustellen. Es wäre sehr verdienstvoll gewesen, wenn er eine Bilanz des Forschungsstands gezogen und aufgezeigt hätte, wo nach all den Untersuchungen und Debatten heute Konsens herrscht, wo divergierende Interpretationen weiterbestehen und welche offenen Fragen der Klärung harren. Marc Perrenoud wäre hierzu prädestiniert, und es bleibt zu hoffen, dass er es an anderer Stelle nachholt. So ist das Werk vor allem aufschlussreich für die Spezialisten, die auf unzählige interessante und aufschlussreiche Zitate sowie weitere Fundstellen in den Fussnoten bei den DDS und den erwähnten Archiven stossen.

Zitierweise:
Patrick Halbeisen: Rezension zu: Marc Perrenoud: Banquiers et diplomates suisses (1938–1946). Lausanne, Antipodes, 2011. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 61 Nr. 4, 2011, S. 490-492.

Redaktion
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 61 Nr. 4, 2011, S. 490-492.

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